Schatten in der Stadt – Die Tante hilft
Nachdem ihr gemeinsam beschlossen hattet, euch zur Beratung in die Unterkunft von Prinz Amran zurückzuziehen, versammelt ihr euch nun dort.
Die Flammen der Öllampen werfen tanzende Schatten an die Wände, während wir ausharren. Die Ereignisse der letzten Stunden haben uns keine Wahl gelassen – zu gefährlich ist es geworden, sich weiter ungeschützt in der Stadt zu bewegen. Nach der Entdeckung der mysteriösen Hammerfragmente und der wachsenden Gefahr durch unbekannte Spione haben wir entschieden, Rajanas Tante um Hilfe zu bitten. Ihr Wissen über alte Magie und verborgene Zeichen könnte euch die Antworten liefern, die wir so dringend brauchen.
Die Tür öffnet sich leise. Rajanas Tante tritt ein, ihre Bewegungen sind gemessen, ihre Haltung aufrecht, die Ruhe einer Frau ausstrahlend, die schon viele Geheimnisse dieser Welt gesehen hat. Sie ist eine Beduinin, tief verbunden mit den alten Traditionen ihres Volkes. Ihr Gesicht ist gezeichnet von Sonne und Sand, ihre Hände kräftig, aber sanft. Ein leises Murmeln entfährt ihren Lippen – ein Gebet in der Sprache ihrer Ahnen. Dann lässt sie den Blick über die Fragmente schweifen. Zwischendurch haben Prinz Amran und die Tante ihre schon normalen Neckereien, als Amran ernst wird und plötzlich ungewohnt ernst zu sprechen beginnt. Dabei schaut er teils in die Leere, als wären seine Gedanken weit in der Vergangenheit und dann wieder in der Gegenwart:
Wenn diese Bande schon in den Verstand eindringen kann, warum dann nicht auch ihn zu Handlungen zwingen?
Mit erhobener Stimme, in der die Dringlichkeit der Situation klar spürbar ist, blickt Amran in die Runde.„Ich habe es gesehen, ich habe es erlebt – und daher müssen wir auf alles gefasst sein. Wenn ein Geist in der Lage ist, den Verstand zu verwirren, was dann ein Kult, der Magie beherrscht?
Wir als Gruppe schweigen aus Respekt einen Moment, jeder von uns spürt die Schwere seiner Worte.
„Ich erlebte es im Haus der Wissenschaft, bei jenem unheilvollen Ort nahe dem Friedhof von Wegesruh. Wir waren auf der Jagd, und einer von uns – ein treuer Kamerad, ein Freund – wurde plötzlich … anders. Er handelte nicht mehr aus freiem Willen. Wie eine Marionette zog er uns in die Dunkelheit, zwang uns zu Taten, die wir nie von ihm erwartet hätten.“
Alexia und Rahjana sehen in das Gesicht von Amran, der Gedanke an einen Verräter in den eigenen Reihen ist nicht schön.
„Es war der Abend vor der entscheidenden Stunde, der Moment, in dem wir alles verlieren könnten, wenn wir uns nicht richtig entscheiden. Ein Magier von uns konnte helfen. Er kannte sich mit solchen Dingen aus – aber es war knapp, zu knapp. So etwas darf nicht wieder geschehen, Freunde!“
Die Erinnerung an die verzweifelte Lage und den magischen Kampf um das Leben eines Gefährten lässt Amran kurz innehalten.
„Dieser böse Geist, der uns manipulierte, ließ uns nicht frei. Und auch dieser Kult – wenn er in der Lage ist, mit seiner Magie in den Verstand einzudringen, dann kann er noch mehr tun.“
Die Worte kommen aus Amrans Inneren, aus einer Erfahrung, die ihn geprägt hat. Amran hat die Gefahr erlebt, die diese Art von Magie mit sich bringt – und er weiß, wie schnell das Vertrauen in die eigenen Reihen zerrinnen kann.
„Deshalb erzähle ich euch davon. Es ist nicht nur eine Frage von Kämpfen und Schlachten. Wenn die Gefahr so tief in uns eindringt, können wir uns nicht sicher sein, wer noch an unserer Seite steht. Und wir können uns nicht sicher sein, wie lange wir uns selbst noch vertrauen können.“
Amran sieht in die Runde und wir uns an, denn so kennen wir Amran nicht.
„Seht euch vor. Ein solcher Zauber könnte uns alle zu Werkzeugen machen. Wir müssen vorbereitet sein, auf all das, was uns erwarten könnte. Die Gunst des Allvaters und die Weisheit eines jeden von uns werden uns vielleicht retten – aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen. Unsere größte Gefahr ist nicht nur der Kult selbst, sondern der unsichtbare Feind in unseren eigenen Köpfen.“
Die Spannung im Raum ist fast greifbar. Niemand wagt es, das Wort zu ergreifen, als die Tante dann mit einer bedächtigen Geste Sand aus einem kleinen Beutel nimmt und langsam über die Überreste des Hammers rieseln lässt. Ein Zittern geht durch das feine Pulver, ein kaum wahrnehmbares Beben. Und dann – ein Flüstern, nicht laut, nicht deutlich, aber es ist da.
Rajanas Tante hebt den Kopf. Ihre dunklen Augen ruhen auf euch, voller Wissen und Entschlossenheit.
„Sie beobachten uns.“
Ihre Stimme ist ruhig, aber eindringlich.
„Doch die Erde vergisst nie. Sie kennt jeden Schritt, jeden Atemzug. Wenn sie uns finden wollen – dann werden wir sie zuerst finden.“
Ohne zu zögern, kniet sie sich auf den Boden, zieht einen Kreis aus feinem Staub und beginnt mit einem uralten Ritual. Ihre Finger tanzen über den Sand, zeichnen Muster, die keiner von uns, außer der neue vielleicht, versteht. Worte in der Sprache der Beduinen fließen von ihren Lippen, getragen von einer Kraft, die älter ist als das Licht der Stadt. Die Magie ihrer Ahnen fließt durch sie, eine Verbindung zur Erde selbst. Der Staub beginnt zu vibrieren, hebt sich in feinen Schlieren, als würde er eine eigene Existenz entwickeln. Dann – mit einem letzten, kraftvollen Wort – bäumt sich eine Welle aus Sand auf und legt sich wie eine Landkarte auf den Boden.
Rajanas Tante öffnet die Augen. Ihr Blick ist ernst, durchdringend. Sie zeigt auf die feinen Linien, die sich im Staub abzeichnen – Pfade, Wege, Orte, an denen eine Spur liegt. Doch wer oder was dort lauert, bleibt ungewiss.
„Sie sind nahe. Doch nun wissen wir, wo.“
Die Erkenntnis trifft uns mit voller Wucht. Wir sind nicht nur Beobachter – wir sind längst ein Ziel. Unsere Feinde kennen unsere Spuren, doch nun haben wir einen Vorteil: WIR kennen ihre ebenfalls.
Weiter gehen die Beratungen.
Fortsetzung folgt