Chronikeintrag:
„Von Wunden, Worten und zweiter Würde – Haus Ashere“
Der Abend über Schildwacht war lau, doch in den Mauern des Hauses Ashere lag etwas in der Luft – eine Spannung, die nicht aus Eisen oder Stahl bestand, sondern aus Worten, Vergangenheit und unausgesprochenen Entscheidungen.
Prinz Amran, Alexia, Fayek – sie waren versammelt.
Rajana fehlte, unpässlich, so hieß es. Und vielleicht war es besser so. Denn an ihrer Stelle erschien eine andere – jene, die sie großgezogen hatte: Jasira, ihre Tante.
Nicht gerufen, nicht geladen – und doch trat sie ein, mit jener Entschlossenheit, wie sie nur eine Beduine kennen kann, die weiß, was auf dem Spiel steht.
Jasira war einst eine Diebin,
aufgewachsen zwischen Hunger, Not und Verantwortung.
Als Rajanas Mutter starb, zerbrach ihr Bruder –
Einst Kämpfer, dann Schuster, schließlich ein vom Leben müder Mann.
Jasira nahm ihn und seine fünf Kinder auf,
schuf mit dem Wenigen, das sie hatte, ein Zuhause im Lager ihres Stammes.
Einst war sie nur eine Diebin,
später die, die andere durchbrachte –
Mit klarem Blick, hartem Willen und dem Mut, Verantwortung zu tragen.
Man nennt sie heute eine Weise ihres Volkes.
Nicht, weil sie es forderte –
Sondern, weil sie es wurde.
Jetzt aber sprach sie nicht für sich –
Sondern für jemand anderen.
Sie kam, um über jenen jungen Mann zu sprechen,
der vor kurzem das Haus Ashere betreten hatte,
auf der Suche nach einem Gönner.
Kein Krieger, kein Händler –
Ein Forscher, Sharif al-Kaheem, sein Name, wie er sagte.
Einst ein Dieb, nun mit dem Wunsch nach einem Neuanfang.
Er wollte reisen, allein, fern der Gruppe,
und versprach, Informationen zu liefern –
Gegen Gold.
Die Gruppe hatte ihn abgewiesen. Zu vage, zu fordernd, zu ungebunden.
Doch Jasira widersprach – mit Feuer in der Stimme.
Woher sie all das wusste?
Zunächst behauptete sie, es seien nur Gerüchte gewesen, aufgeschnappt an den Basarständen Schildwacht.
Doch Prinz Amran ließ nicht locker –
und schließlich gab sie es zu:
Sie hatte gelauscht.
Damals, an jenem Abend, war sie aus dem Raum gewiesen worden – wie ein Kind.
Sie war nicht weit gegangen.
Sie lauschte, weil ihr Herz misstrauisch war.
Ein Fremder, der Geld wollte, ohne Teil zu werden.
Einer, der nichts bot außer Versprechen –
Ein Bild, das sie zu gut kannte.
Sie wollte wissen, wer er war.
Nicht, weil sie misstrauisch war –
Sondern, weil sie Verantwortung fühlte.
Und vielleicht auch, weil sie selbst wusste,
wie es war, einen Neuanfang zu brauchen.
Alexia, spitz wie ihr Blick, nannte sie daraufhin ein „singendes Vögelchen“.
Doch Jasira richtete sich auf –
und ihre Stimme klang, wie die Wüste selbst:
„Ich bin eine stolze Rothwardonin. Eine Beduine! Keine Kaiserliche wie Ihr.“
Es wurde still.
Fayek sprach schließlich –
Mit jener Ruhe, die nur wenige besitzen.
Ein Mann, der meist schweigt,
aber wenn er spricht, dann so,
dass selbst Wind und Sand zuhören.
Und in seinen Worten
fand Jasira mehr als Widerspruch:
Sie fand Achtung.
Als sie sich schließlich abwandte,
bereit zu gehen,
fragte Prinz Amran sie knapp – beinahe wie ein Befehl:
„Kommt Ihr mit?“
Jasira drehte sich halb um, stolz das Kinn erhoben.
„Nein. Ich bin keine von Euch.“
Es war nicht das erste Mal, dass sie so aufeinanderprallten –
er, der sich nicht verbog,
sie, die sich nicht beugen ließ.
Zwei Naturgewalten mit Sand in den Stimmen
und Geschichte in den Blicken.
Sie nannte ihn später
einen „sturköpfigen Kamelhengst“ –
Aus tiefster Zuneigung.
Und Amran?
Nun … er freute sich durchaus, sie zu sehen,
doch noch mehr freute er sich,
wenn sie ging
– am liebsten mit dem Rücken zu ihm.
Später, als die Runde sich auflöste,
waren es nicht Amrans Worte,
nicht Alexias Spott,
die Jasira zum Nachdenken brachten –
Sondern Fayeks Schweigen.
Und so entschied sie:
Sie würde mitgehen.
Nicht wegen eines Prinzen.
Nicht wegen alter Schuld.
Sondern weil sie in dieser Gruppe aus Streit, Stolz und Unsicherheiten
etwas sah, das ihr vertraut war:
Eine Familie.
Niedergeschrieben unter den Sternen,
von einer, die einst stahl –
Und heute Würde gibt.